Die Biestmilch - ein besonderer Saft
Dr. Lutz Ahlswede vom Pferdegesundheitsdienst der Landwirtschaftskammer Westfalen-Lippe erklärt, wie der bestmögliche Infektionsschutz für neugeborene Fohlen in der Praxis erreicht werden kann. In den ersten vier Lebensstunden sollte das Fohlen mindestens zweimal Milch aufgenommen haben.
Die Entwicklung des Euters der hochtragenden Stute beginnt etwa 6-8 Wochen vor dem Geburtstermin. Sie verläuft entweder allmählich oder auch schubweise. Eine gewisse Abhängigkeit von der Bewegungsintensität ist zu beobachten: Das Euter wird praller bei Boxenruhe und reduziert sich je nach Ausprägung ganz oder teilweise mit der Bewegung. Ein wichtiger Garant für ein gesundes Fohlen ist die so genannte Biestmilch, das Kolostrum. Aufgrund seiner besonderen Zusammensetzung gilt es als lebensnotwendige "Schluckimpfung" vorbeugend gegenüber allen möglichen Infektionskrankheiten, aber auch als vitalisierender Energiespender. Der Verlust von Kolostrum vor der Geburt ist zu tolerieren und läßt sich nicht vermeiden, sofern es sich um geringere Mengen handelt und die Spezifität des harzähnlichen Charakters (Harztropfen) - also nahezu farblos und klebrig - erhalten bleibt. Einige Stuten verlieren bereits einige Wochen vor dem möglichen Geburtstermin Harz oder Milch, nicht selten auch in größeren Mengen. In manchen besonders intensiven Fällen kann dieser Vorgang als Hinweis auf Zwillingsträchtigkeiten oder andere, zum Beispiel die Lage des Fohlens betreffende Probleme gedeutet werden. Häufig ist die Ursache aber einfach abzustellen. Der Entwicklung von Euter und Milchproduktion begegnet man durch Reduktion von Kraftfuttergaben und deutlich mehr Bewegung. Stuten, welche in diesem Stadium die freie Bewegung scheuen, sollten mehrfach täglich geführt werden.
Das Kolostrum, der Vorläufer der reifen, weißen Milch, besitzt als Schutzstoff für das Fohlen in hohem Maße Immunglobuline und bis zur Fohlenrosse absinkend eine hohe Lysozymaktivität. Die Immunglobuline sind Antikörper, mit welchen das Fohlen einen wirksamen Schutz gegen Infektionen erhält. Sie werden in den letzten Tagen vor der Geburt, aber auch noch während der Geburt in das Euter transportiert.
Stuten können aber nur Antikörper abgeben, welche sie bedingt durch Umwelt oder zum Beispiel Impfungen auch selbst besitzen. Ist eine Stute zum Beispiel nicht oder nicht effektiv gegen Tetanus geimpft, kann sie keine Antikörper abgeben und das Fohlen bleibt gegenüber dieser Infektion schutzlos.
Die klebrige Konsistenz des Sekretes weist auf einen hohen Gehalt an Immunglobulinen, weniger die gelbliche Farbe, welche eher durch das ß-Carotin geprägt sein dürfte. Die Lysozymaktivität besitzt im Rahmen des Infektionsschutzes eine desinfizierende Rolle und hat auch im Euter der Stute die Aufgabe, das Risiko für eine Euterentzündung zu mindern. Vitamin A und ß-Carotin in der Kolostralmilch gehören ebenfalls mit zum Komplex der "Schluckimpfung", indem sie, in ihrer Konzentration abhängig von der Ernährungssituation der Stute, die Infektionsabwehr des neugeborenen Fohlen stärken. Als Nährstoff wird der Energiegehalt der Kolostralmilch vorrangig anzusehen sein, indem er dem Fohlen weitere Kraft zum Saugen, Hinlegen, Schlafen, Abgang von Darmpech usw. gibt. Besonders große, langbeinige sowie schwere Fohlen und insbesondere Hengstfohlen scheinen sehr rasch auf diese Energiezufuhr angewiesen zu sein. Auch unter dem Gesichtspunkt, dass die Darmwand des Fohlens die Antikörper der Milch von Stunde zu Stunde unabgebaut schlechter passieren lässt, beginnt jetzt ein Wettlauf mit der Zeit.
Kommt das Fohlen zu spät zum ersten Saugen, ist Milch abgelaufen und auch hinsichtlich des Gehaltes an Immunglobulinen reduziert. Zusätzlich wird die Verwertung beim Fohlen bereits verringert sein, so dass Infektionsprobleme jetzt vorprogrammiert sein können.
Biestmilch notfalls mit der Flasche
Der Infektionsschutz für das neugeborene Fohlen erfolgt durch allgemeine Hygiene, Geburtshygiene, Nabeldesinfektion und die Sicherung der Aufnahme von Kolostral- (Biest-) milch. Diese Milch sollte bis 8 Stunden nach der Geburt mehrfach vom Fohlen aufgenommen worden sein. Da das "Anlegen" der Fohlen oft Schwierigkeiten bereitet und zudem vermehrt Fohlen mit hohen Geburtsgewichten anzutreffen sind, die verspätet zum Stehen kommen, hat es sich in der Praxis bewährt, die Milch der Stute, nachdem diese von der Geburt aufgestanden ist, in eine sterile, vorgewärmte Babyflasche abzumelken. Im Liegen nehmen die Warmblutfohlen in der Regel 150 ml Milch auf, wobei lediglich darauf zu achten ist, dass nicht zu viel Luft angesogen wird. Wenn bis zu 4 Stunden nach der Geburt das Fohlen zweimal selbständig oder mit Hilfe der Flasche getrunken hat, kann man von einer optimalen Versorgung mit Immunglobulinen ausgehen. Eine Ausnahme wären hohe Kolostrumverluste vor der Geburt oder verändertes Eutergewebe. In diesen Fällen, wie auch bei Verlust der Stute während der Geburt, wäre man auf eingefrorene Kolostrumreserven, möglichst gewonnen innerhalb weniger Stunden nach der Geburt, angewiesen.
Ergänzende Injektion, Blut -Schnelltest
Zur weiteren Steigerung der Infektabwehrbereitschaft findet in der Praxis die routinemäßige Injektion von Paramunitätsinducern am ersten, dritten und siebten Lebenstag ständig weitere Verbreitung. Besonders Züchter mit wenig Erfahrung sollten anlässlich der Tierarztbesuche Fragen zur Fohlengesundheit (Darmpech, Harnfluss, Nabel, Gelenke, Saugreflex, Atmung usw.) stellen.
Durch entsprechende Fütterung (Möhren, Anwelksilage, ß-Carotin über Mischfutter) sollte die Stute mit dem deutlichen Aufeutern über die Ration auch ß-Carotin (ca. 100 mg/ 100 kg Körpergewicht) erhalten, welches, in der Kolostralmilch angereichert, ebenfalls die Fohlen vor Infektionen schützen kann.
Ist man unsicher, ob das Fohlen einen genügend hohen Immunglobulinspiegel aufgebaut hat, kann man über einen Schnelltest im Blut 12-36 Stunden nach der Geburt eine Überprüfung vornehmen. Dieser Test bietet sich besonders an in Zuchtställen mit hohem Infektionsdruck, bei Fohlen, deren Mütter nicht in den letzten Wochen in der Abfohlbox gestanden hatten oder bereits Problemfohlen hatten. Auch nach erheblichem unerwünschtem Milchfluss vor der Geburt wird die beschriebene Überprüfung notwendig.
Versorgungsstufen Immunglobulin G von Saugfohlen:
Unter 2 g IgG/l: absoluter Mangel
Bedeutung: Fohlen sterben oft an Infektionskrankheiten (z. B. Fohlenlähme); auch durch Antibiotikaprophylaxe und -therapie nicht zu verhindern; Immunglobulinsubstitution ist notwendig.
2 bis 4 g IgG/l: partieller Mangel
Bedeutung: Fohlen sind hochgradig infektionsgefährdet, erkranken z.B. leicht an Fohlenlähme, evtl. an Spätlähme; Antibiotikatherapie allein kann chronische Gelenkveränderungen nicht verhindern; Immunglobulinsubstitution ist notwendig.
4 bis 8 g IgG/l: subnormaler Bereich
Bedeutung: Fohlen, die einem hohen Infektionsdruck ausgesetzt sind (unhygienische Haltung, Stallwechsel, Transport, Aufenthalt auf der Deckstation, in der Klinik), können leicht erkranken, z. B. an Fohlenlähme. Für diese Fohlen wird eine Immunglobulinsubstitution empfohlen. Ohne ein besonderes Risiko ist die IgG -Substitution nicht erforderlich, sorgfältige Beobachtung der Fohlen wird empfohlen.
> 8 g IgG/l: normaler Bereich
Bedeutung: Fohlen sind zufriedenstellend mit IgG versorgt.
Jeder Züchter mit mehreren Abfohlungen im Jahr sollte über eine Kolostrumreserve in der Kühltruhe für Notfälle verfügen. Für Großpferde melkt man, wie bereits beschrieben, innerhalb der ersten vier Stunden nach deren Geburt zweimal jeweils 150 ml und wiederholt dieses bis zu 12 Stunden. Die gewonnene Milch wird abgekühlt, mit Datum und in der Reihenfolge der Entnahme gekennzeichnet und in der Tiefkühltruhe eingefroren. Bei Bedarf wird die Milch im Wasserbad bei Temperaturen nicht über 40°C aufgetaut und in der Reihenfolge der Gewinnung körperwarm getränkt. Mindestens alle zwei Jahre sollte die Charge durch neue Milch gewechselt werden. Vorzugsweise nutzt man hierzu nicht zu junge und nicht zu alte Stuten mit der Abfohlung nicht vor Beginn der Weideperiode. Von diesen Reserven sollten die Tierärzte Kenntnis haben, um im Notfall Solidarität unter den Züchtern vermitteln zu können.
Dr. L. Ahlswede