In den letzten Jahren hat sich auf dem Futtermittelsektor für Pferde ein fester Markt für Heilkräuterpräparate etabliert.
Ob die Kräuter naturbelassen, geschnitten, zu Pulver gemahlen, pelletiert, granuliert oder als Zusatz zum Allein- oder Ergänzungsfutter zur qualitativen Aufwertung eingesetzt werden:
Nahezu unübersichtlich ist die Vielfalt der erhältlichen Produkte, zudem die mehr als 50 angebotenen Kräuter sowohl für konkrete Indikationen angeraten als auch zur Gewährleistung des allgemeinen Wohlbefindens empfohlen werden.
Besonders fällt auf, daß die Anzahl der Kräuterarten in den jeweiligen Produkten variiert. So werden fünf bis knapp 30 Sorten in den einzelnen Rezepturen eingesetzt. Soll aber ein Heilprozeß beziehungsweise eine Linderung bestimmter Krankheiten bezweckt werden, ist eine effektive Wirkung von Mischungen mit umfangreichen Kräuteraufgebot anzuzweifeln. Denn weniger ist oft mehr, wie im nachfolgenden Beitrag anhand des gezielten Einsatzes einiger wirksamer Heilkräuter bei Atemwegserkrankungen des Pferdes dargelegt wird.
In der Pferdehaltung sind Atemwegserkrankungen äußerst problematisch. Schätzungen zufolge erkranken pro Jahr rund ein Viertel aller Pferde an akuten husten; jeder Pferdebesitzer fürchtet sich davor, daß sein Pferd an Dämpfigkeit erkrankt ist. Schließlich sind es auch die chronischen Erkrankungen der Atemwege, die – neben den Koliken und Lahmheiten – das Pferd vorzeitig ausscheiden lassen.
Wie atmet das Pferd?
Das Pferd atmet die Luft durch die Nüstern, den Kehlkopf und die Luftröhre, die sich am Brusteingang in die zwei Hauptbronchien aufteilt. Die Atemluft strömt durch die Verzweigungen der enger werdenden Bronchien und die fein verästelten und haardünnen Bronchiolen. Am Ende der Reise gelang die Luft in kleine Bläschen, auch Alveolen genannt, die millionenfach in der Lunge an den Enden der Bronchiolen traubenartig sitzen.
An den Alveolen findet der eigentliche Gasaustausch statt. Dabei wird zum einen Sauerstoff an das Blut der auf den Alveolen befindlichen feinen Blutgefäße abgegeben und an Orte im Körper wie beispielsweise dem Muskel transportiert, an denen physiologische Prozesse nur mit Sauerstoff ablaufen. Zum anderen geht in den Alveolen gleichzeitig >verbrauchter Sauerstoff< in Form von Kohlendioxid aus dem Blut an die Luft, die ausgeatmet wird, über.
Schutzsystem der Atemwege
Neben spezifischen wie unspezifischen Abwehrmechanismen des Körpers ist der Atmungstrakt mit einem eigenen Schutzsystem ausgestattet. Sogenannte Becherzellen an der Wandinnenseite der Luftwege produzieren ständig einen dünnflüssigen Schleim, so daß die Innenwand mit einer Schleimschicht überzogen ist. Fremdstoffe aus der Atemluft wie beispielsweise Staubpartikel werden an die Schleimschicht gebunden; Bakterien und Viren werden zudem durch körpereigene Abwehrstoffe gekämpft. Darüber hinaus besteht die Bronchialschleimhaut aus Zellen, die Flimmerhärchen -–Zilien genannt – tragen. Die Zilien transportieren das von den Becherzellen erzeugte Sekret mit den darin gebundenen Schadstoffen zum Rachen, wo der Schleim dann entweder abgeschulckt oder durch Husten ausgeworfen wird. Diese Schutz- wie Reinigungseinrichtung, Becherzellen und Flimmerhärchen, wird "mucoziliares Reinigungssystem" bezeichnet. Hält man sich nun den diffizilen Bau des Atmungstraktes und die komplexe Funktionsweise der Atmung sowie des Reinigungsmechanismus vor Augen, wird deutlich, daß Störungen in diesem System beispielsweise durch Atemwegserkrankungen die Lebensqualität beeinträchtigen und sogar die Lebensfähigkeit des Individuums unterbinden können.
Virusinfektionen verursachen in aller Regel akute Atemwegserkrankungen. Durch den Vireneinfall wird eine körpereigene Abwehrfunktion in Gang gesetzt, die Entzündungen und Schwellungen der befallenen Schleimhautflächen zur Folge haben.
Atemwegserkrankungen treten deshalb so häufig auf, da zahlreiche ungünstige Einflüsse – meist zu gleicher Zeit – auf das Pferd wirken. Dabei belasten nicht nur Krankheitserreger, sondern auch ein fehlerhaftes Management sowie verschiedene Umweltfaktoren den Atmungsapparat des Tieres.
Wie entsteht Husten?
Da sich der Querschnitt der Atemwege durch die Schwellung verringert, wird die Atmung erschwert und der vermehrt erzeugte Schleim nicht ausreichen abtransportiert.
Erschwert wird der Sekretabfluß weiterhin durch die zähflüssige Konsistenz des Schleims und einer Verminderung funktionsfähiger Zilien.
Diese werden entweder durch den Schleim behindert oder durch die Viren zerstört, welche die entsprechenden Zellen gefallen haben. Eine Schleimabsonderung kann in diesem Falle nur noch durch Husten bewerkstelligt werden. Zusätzlich wird durch den Bronchospasmus, bei dem sich die Muskeln der Bronchiolen dauerhaft und krampfartig zusammenziehen, das Volumen der eingeatmeten Luft vermindert und die Atmung erschwert (Abbildung 3).
In dem nicht abfließenden Sekret finden Bakterien ideale Bedingungen zur Vermehrung vor. Meist gewinnen die Bakterien den Kampf gegen die
körpereigene Abwehr, die bereits durch den Virenbefall nur noch eingeschränkt funktionsfähig ist. Bakterielle Infektionen, auch unter dem Begriff Sekundärinfektionen bekannt und am gelbgefärbten Sekret zu erkennen, können zur Bronchitis, Lungenentzündung und weiteren schweren Komplikationen führen.
Chronische Verlaufsform:
Die Ursache für chronische, über einen längeren Zeitraum dauernde, Atemwegserkrankungen sind vielfältiger Natur. Zum einen rufen bestimmte Bakterienarten, nicht veranlaßte, falsche oder nicht konsequent durchgeführte Behandlung schleichende Verlaufsformen hervor. Zum anderen üben nicht optimale Haltungsbedingungen einen negativen Einfluß auf die Atmung aus. Neben zu hoher Luftfeuchtigkeit und zu hohen Schadgaskonzentrationen im Stall – vor allem Ammoniak (über 20 ppm) reizt und schädigt die Schleimhäute – belasten bestimmte Fremdkörper in der Luft das Atmungssystem nachhaltig. Dabei handelt es sich weniger um die relativ großen, über fünf Tausendstel mm liegenden, Staubpartikel aus Einstreu, Futter oder Bodeneinstreu, sondern vielmehr um kleinste Partikel und Mikroorganismen. Während die groben Staubteilchen im Atmungstrakt durch das mucoziliare Reinigungssystem gebunden werden, dringen feinster Heu- und Strohstaub, Blütenpollen und Sporen verschiedener Schimmelpilze aus Heu und Stroh bis zu den Bronchiolen vor und verursachen anhaltende Reizzustände und chronischen Husten. Die Symptome beispielsweise einer fortgeschrittenen Dauerbelastung des Atmungsapparates gleichen den Krankheitserscheinungen einer Infektion: Durch die Schleimhautschwellung und das Festsitzen des Schleims kommt das mucoziliare System zum Erliegen, so daß sich in Verbindung mit der Bronchospasmolyse die luftführende Querschnitte der Bronchien und Bronchiolen fortlaufend verringern. Die Atmung läuft zunehmend unter schwerste Anstrengung ab.
Endstation Dämpfigkeit
Sofern in diesem Stadium das Pferd keine Behandlung erfährt und die pathogenen Faktoren im Umfeld nicht abgestellt werden, besteht die Gefahr der weiteren Verschlechterung des Krankenstatus bis hin zur irreversiblen Schädigung der Lunge durch Emphysembildung. Nur mit erhöhtem Kraftaufwand schafft es das Pferd, die Luft durch die verengten Kanäle bis in die Alveolen zu saugen. Da der Druck für die Ausatmung niedriger ist, bleibt ein kleiner Luftrest in den Alveolen zurück. Pro Atemzug nimmt somit die angestaute Luft zu; die Lungenbläschen dehnen sich so lange aus, bis deren Wände einreißen. Für die Atmung sind die Alveolen dann unwiederbringlich verloren und je nach Ausmaß der zerstörten Lungenteile ist die Leistung des Pferdes entsprechend eingeschränkt. Die Leistungseinbuße ist das wesentliche Merkmal der Dämpfigkeit.
Atemwegsdefekte umfassend behandeln
In der Prophylaxe wie in der Therapie der in der Regel multifaktoriell bedingten Atemwegserkrankungen sind die klassischen beziehungsweise homöopathischen
Verfahren anzuwenden. Nicht minder bedeutend ist es, dem Pferd ein gesundes Umfeld zu gewährleisten, indem alle schädlichen Einwirkungen konsequent ausgeschaltet werden.
Wie Hustenkräuter wirken
Über die Nahrung eingesetzte Heilkräuter können die Therapie hilfreich unterstützen, sofern sie über mehrere Wochen verabreicht werden. Die wesentliche Heilwirkung der Hustenkräuter beruht auf dem sekretolytischen (schleimlösenden) und spasmolytischen (krampflösenden) Effekt. Zum einen verflüssigen bestimmte Kräuter den zähen, festsitzenden Schleim, indem intermolekulare Bindungen aufgehoben werden und der Wassergehalt erhöht wird. Dadurch wird das Flimmerepithel unterstützt, um den Schleim abzutransportieren. Zugleich kann das Sekret leichte ausgehustet werden. Zum anderen lösen einige Heilpflanzen die verkrampften Muskeln m Bronchien und Bronchiolen, so daß leichter geatmet werden und zudem der Schleim besser abfließen kann. Besonders nachfolgend vorgestellte Kräuter zeigen sekretolytische und spasmolytische Eigenschaften.
Anis (Pimpinella anisum)
Der Samen der aus dem Mittelmeerraum stammenden typischen Kulturpflanze enthält verschiedene ätherische Öle, darunter im wesentlichen das trans-Anethol mit bis zu 95 %.
Hauptsächlich ist Anis für seine schleimlösende Wirkung bekannt. Weiter lösen die Öle die Krampfzustände der die Atemwege umgebenden Muskel; zudem zeigt Anis einen antibakteriellen Effekt. Empfohlen wird eine Verabreichung über vier bis sechs Wochen bei täglichen Gaben pro Pferd von etwa 10 bis 25 g.
Fenchel (Foeniculum vulgare)
Schon vor einigen Jahrtausenden in der altchinesischen Heilkunde eingesetzt, zählt Fenchel zu den ältesten Pflanzen in der Heilkräuterkunde. Der Bitterfenchel ist ebenso wie Anis eine Pflanze aus der Familie der Doldengewächse. Dementsprechend ist in der Ölfraktion im wesentliche trans-Anethol enthalten, so daß auch eine sekretolytische, spasmolytische und antibakterielle Wirkung erzielt wird.
Huflattich (Tussilago farfara)
Schon Hippokrates empfahl den Korbblütler als Hustenmittel. Die Zusammensetzung der heilenden Wirkstoffe in den Blüten und Blättern ist mit saurem Schleim komplexer Zusammensetzung sowie mit Berg- und Bitterstoffen vielfältig. Huflattich lindert den trockenen Hustenreiz und verflüssigt den Schleim im Bronchialtrakt. Pro Pferd und Tag werden 10 bis 20 g empfohlen.
Spitzwegerich (Plantago lanceolata)
Spitzwegerich wird gerne von den Pferden aufgenommen und ist auf einer Pferdeweide erwünscht. Die überwiegend in den grünen Pflanzenteilen enthaltenen diversen Schleim- und Gerbstoffe vom Tannintyp, Flavonoide und Iridoidglykoside wirken besonders sekretolytisch, darüber hinaus epithelisierend, immunstimulierend und antibakteriell. Ein typisches Hustenkraut, welches dem Pferd in einer Menge von 30 bis 60 g täglich vorgelegt werden kann.
Süßholz (Glycyrrhiza glabra)
Bereits auf altägyptischem Papyrus vor rund 3000 v. Chr. Wurde der Schmetterlingsblütler als heilendes Hustenmittel gelobt. Der Grund liegt wohl in der breiten Wirkungsweise der hauptsächlich in Form von Calcium- oder Kaliumsalz vorhandenen Glycyrrhizinsäure der Wurzel. So wirkt Süßholz sowohl sekretolytisch und spasmolytisch als auch entzündungshemmend mit abschwellendem Prozeß in der Lunge und Bronchien. Pro Pferd und Tag sind 10 bis 60 g anzuraten.
Thymian (Thymus vulgaris)
Auch der therapeutische Einsatz der zur Familie der Lippenblütler einzuordnenden Pflanze hat eine lange Tradition. Bereits in Altägypten eingesetzt und in Kloster- und Bauerngärten im Mittelalter angebaut, behielt das Kraut bis heute seinen Stellenwert. In den Krautteilen sind in der Ölkomponente Thymol und Carvacrol die Hauptinhaltsstoffe. Thymian wirkt demnach bronchospasmolytisch, sekretolytisch und antibakteriell. Gaben in einer Größenordnung zwischen 25 und 50 g pro Tier und Tag sind einzusetzen. In der Liste der Hustenkräuter sind ergänzend Eibisch (Althaea officinalis), Malve (Malva silvestris), isländisches Moos (Lichen islandicus) und Sonnentau (Drosera rotundifolia) erwähnenswert, die allerdings nur einen reizlindernden Effekt zeigen.
Welches Kräuterprodukt kaufen?
Ein speziell gegen Atemwegserkrankungen ausgewiesenes Kräuterprodukt sollte überwiegend die hier aufgeführten Kräuter enthalten. Je mehr Kräuter allerdings ein Präparat enthält, desto geringer ist die Konzentration des einzelnen Krautes in der Mischung. Wenn dann die therapeutisch erforderliche Tagesgabe der einzelnen Heilpflanze nicht mehr gegeben ist, geht die Heilkraft verloren. Weiter ist darauf zu achten, daß die Kräuter im offiziellen Teil der Deklaration in der Zusammensetzung aufgeführt sind. Eine offene Deklaration, also eine mengenmäßige Angabe der einzelnen Komponenten, käme dem Anwender entgegen. Wegen Wettbewerbsdenken der einzelnen Futtermittelhersteller ist dies eher die Ausnahme. Dennoch sollte man sich nicht scheuen, den Hersteller direkt zu befragen. Dies gilt umso mehr bei pelletierter und granulierter Ware, da der tatsächliche, wertbestimmende Kräuteranteil durch Hilfszusätze wie etwa Fließhilfs-, Füll-, Aromastoffe, Bindemittel vermindert ist.
Was bleibt festzustellen?
Atemwegserkrankungen beim Pferd treten häufig auf und werden in der Regel durch das gleichzeitige Einwirken mehrerer Faktoren hervorgerufen. Demzufolge sind Prophylaxe und Therapie erfolgreich, wenn neben der medikamentösen Behandlung auch die Umweltfaktoren optimal gestaltet werden. Bestimmte Heilkräuter können durch einen gezielten Einsatz dazu beitragen, den Heilerfolg maßgeblich zu beeinflussen.
Von Dr. Harald Ströhlein aus Pferde Zucht und Haltung